11.04.2011

Der Weg ist das Ziel Über das Prozessuale in der Malerei

Pollock und die Folgen
Jede Kunstproduktion und somit auch jede Malerei ist in irgendeiner Art und Weise an Prozesse gebunden.
Obwohl es zwar auch, wie Robert Morris 1970 spekulierte, hin und wieder zutreffen mag, dass die, die über Kunst schreiben, fast nichts darüber wissen, wie sie gemacht wird, ist es doch vor allem der ubiquitäre Charakter des Prozessualen, der dazu führt, dass der Prozess-Begriff so gut wie nie zur diskursiven Unterscheidung herangezogen wird. Dabei ist es keineswegs ein Pleonasmus, Malerei als prozessual zu bezeichnen, da das Prozessuale ja auch betont werden kann. Anders gesagt: Jede Malerei
ist prozessual, aber nicht jede Malerei kann als prozessual bezeichnet werden.
Zwar haben sich auch vor dem Zweiten Weltkrieg die malerischen Prozesse verändert, doch erst mit Jackson Pollocks ersten drip-paintings waren die Differenzen zu den davor üblichen malerischen Prozessen
größer als die Gemeinsamkeiten. Keine Malerei ist per se prozessual, das Prozessuale zeigt sich immer nur als Differenz und führt das nicht Prozessuale ex negativo immer mit sich.
An der von Pollock verwendeten Technik lassen sich einige Merkmale, die dazu führen, das Prozessuale
in einem malerischen Werkentwurf zu betonen und einige allgemeine Charakteristika des Prozessualen
ablesen. Pollock ließ Farbe mit Hilfe eines Stocks beziehungsweise eines umgedrehten Pinsels
aus einer Dose auf eine auf dem Boden liegende Leinwand tropfen. Die zufälligen Elemente, die dieser filmisch und fotographisch ausführlich dokumentierte Prozess mit sich brachte, waren so groß, dass Pollock keine andere Möglichkeit sah, als den Zufall in seiner Malerei schlicht zu verleugnen. Er verwendete keinen Pinsel beziehungsweise er verweigerte sich der tradierten Funktionalität des Pinsels und ebnete so den Weg für eine Vielzahl an malerischen Positionen, die das Prozessuale dadurch
betonen, dass sie andere Malwerkzeuge als den Pinsel verwendeten, was natürlich nicht den Umkehrschluss zulässt, mit Pinsel gemaltes könnte per se nicht prozessual sein. Nach Pollock wurde Farbe zum Beispiel mit den Händen, Schwämmen, Sprühpistolen oder sogar mit Hilfe von Gewehren aufgetragen. Außerdem veränderte Pollock die Lage der Leinwand. Im Anschluss an diesen Schachzug könnte man unter dem Gesichtspunkt des Prozessualen auch diverse Beispiele, etwa die Malerei von Alfons Schilling, anführen, die nicht (nur) die Lage der Leinwand, sondern überhaupt ihren dynamischen Status veränderten. Noch eines zeigt das Beispiel Pollocks: Hat ein Künstler einmal einen Prozess, er muss ihn nicht einmal selbst erfunden haben, künstlerisch besetzt, verunmöglicht er es anderen weitgehend, denselben Prozess für ihre Arbeit zu verwenden. Nichts eignet sich, abgesehen von der Verwendung eines bestimmten Materials, so sehr als Alleinstellungsmerkmal wie die Verwendung eines eigenen Prozesses. So spielt es in der Wahrnehmung des von Pollock bevorzugten Prozesses auch kaum eine Rolle, dass sich Janet Sobel einige Jahre vor Pollock desselben malerischen Prozesses bediente.
Die starke Bindung von malerischen Prozessen an Personen und ihre Biographien mag auch ein Grund dafür sein, dass das Prozessuale in übergreifenden, nicht monographischen Darstellungen von Malerei so gut wie keine Rolle spielt.
Pollocks Beispiel machte aus den genannten Gründen zwar keine Schule, blieb aber dennoch nicht ohne Folgen, da sich Teilaspekte, wie zum Beispiel die Veränderung der Lage der Leinwand, auch in darauf folgenden Werkentwürfen finden. So schrieb Christopher Knight über Helen Frankenthalers bekanntestes
Gemälde „Mountains and Sea“: „Die blassen Farbtöne des Gemäldes entstanden, indem sie verdünnte Ölfarben aus einer Kaffeebüchse auf eine flach auf dem Boden liegende Leinwand goß, die Farben mit einem Schwamm verrieb und sie unmittelbar in den unversiegelten groben Baumwollstoff einsickern ließ.“ Abgesehen davon, dass auch Frankenthalers Beispiel die seltsame Unterbelichtung des Prozesses als Prozess zeigt, wurde doch der Begriff „stain painting“, der Prozess und Resultat des Färbens ungrundierter Leinwand bezeichnet, im Unterschied zu den 1960ern, in den 1950er Jahren nicht verwendet , liegt der Unterschied zu Pollock darin, dass die verwendeten Prozesse nicht so sehr an eine übergeordnete Bildstruktur gebunden sind, sondern in ihrem Nebeneinander ihre Prozesshaftigkeit
deutlich ausstellen. „[...] Frankenthaler seems to pull process itself away from image – farther, I think, than Pollock himself could allow [...].“
Frankenthaler vermittelte die Prozessualen Anteile Pollocks an Kenneth Noland und Morris Louis, die gemeinsam mit Malern wie Jules Olitski oder Larry Poons unter dem ebenso unscharfen wie schwer übersetzbaren
Label „Post painterly abstraction“ subsumiert wurden. Gemeinsam ist Pollock, Frankenthaler, Louis und auch einigen Arbeiten von Poons die, das Prozessuale ihrer Malerei betonende, Unterwerfung
des Malmaterials unter die Schwerkraft. Diese Unterwerfung war keine Annäherung an Prinzipien der Skulptur – die Skulptur jener Zeit arbeitete ja nicht mit, sondern gegen die Schwerkraft – sondern eine Eingliederung der Farbe als Material in die Welt des Materiellen an sich, die ja ohne Ausnahme der Schwerkraft unterliegt.
Entwicklungsgeschichtlich war dieser Schritt durch die Malerei der Moderne von langer Hand vorbereitet:
„In [einer] Verselbständigung und Verabsolutierung wurde die Farbe nicht mehr als Ersatz oder Darstellungsmittel, sondern als Produktions- und Konstruktionsmittel und somit als Material verwendet. Daher wurde auch die Art der Farbe, die Materialität der Farbe, ihr Pigment usw. erstmals relevant, ebenso der Farbauftrag, z. B. der Pinselstrich und seine Plastizität.“

WO-MAN